1998 habe ich meine erste Arbeit über die Zukunft des Arbeitsmarktes geschrieben. Unter der Überschrift "Unterwegs nach LasVegas?" habe ich am Beispiel des Hotel "Luxor" in Las Vegas den amerikanischen Arbeitsmarkt untersucht, insbesondere den Dienstleistungssektor. Im späteren Verlauf der Arbeit habe ich dann diese Untersuchungen auf den deutschen Arbeitsmarkt übertragen. Heute aber, als kleine Lektüre zum Wochenende, ein Kapitel aus dieser Arbeit über Kellner in Hotels. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich war selber einer - und es war eine der schönsten Zeiten in meinem Leben.
„Es war phantastisch. Ich wurde erst 6 Wochen nach der Eröffnung eingestellt. Aber meine Frau und ich waren unter den 40 000 Leuten, die am Tag der Eröffnung um 5 Uhr morgens wegen eines Jobs vor der Tür des Luxor standen, ich glaube es war am 23. 10. 1993.
Es war atemberaubend. Etwas wie das hier hatte ich noch nie gesehen. Ich wollte dabeisein, dazugehören, unbedingt!“
(Der Wachmann Andrew M., der zur sogenannten „Luxor- Security“ gehört)
Bleibt man bei dem Bild einer Bühne, so ist im Theater, aus dem der Begriff entlehnt wurde, die Arbeit hinter der Bühne immer für eine reibungslose Vorstellung verantwortlich. Es ist aber auch die Arbeit, die nur dann gut ist, wenn sie unsichtbar bleibt. Ganz so ist es in einem Hotel nicht. Natürlich werden hier die wichtigsten Fäden hinter der Kulisse gezogen, die Betten werden von „Zauberhand“ neu bezogen und die Aufzüge nachts repariert. Aber ein Kellner überschreitet diese Grenzen ständig, bewegt sich hinter der Bühne und auf der Bühne. Ob er deswegen ein Schauspieler ist, sei dahingestellt.
Eine weitere Gemeinsamkeit mit dem Theater ist die Verkleidung. Während beim Militär die Uniform im Einsatz als Tarnung dient, soll sie im Hotel das Gegenteil bewirken.
Die Uniformen im Hotel Luxor lassen den Besucher niemals im Zweifel darüber, welche Funktion der Angestellte ausführt. Kellner, Concierge, Wagenmeister, Zimmermädchen und ägyptische Göttinnen sind auch für den ungeübten Laien ohne Probleme ihren Funktionen zuzuordnen. („Uniform“ wurde im 18. Jhd. aus dem frz. entlehnt. Es ist eine Substantivierung des Adjektivs frz. uniforme =einförmig, gleichförmig, einheitlich.- aus dem lat. „unus“ und „forma“.)
Warum müssen sie auf Anhieb von den Gästen zu unterscheiden sein?
Die Uniform dient zunächst der Erkennung. Der Gast weiß, von wem er immer eine nette Antwort auf jede Frage bekommt.
Die Uniform grenzt den Angestellten vom Gast ab, sorgt für ein „unten“ und „oben“. Der Gast ist etwas Besonderes, denn er findet Ansprechpartner, die „nur für ihn“ da sind.
Die Uniform grenzt den Angestellten „nach oben“ ab, da die Manager eines Hotels nicht uniformiert sind.
Die Uniform lässt den Angestellten auch hinter den Kulissen spüren, dass er nicht privat im Hotel ist.
Die Uniform stellt im besten Fall ein Solidargefühl unter den Angestellten her.
Die Uniform degradiert den Angestellten. Menschen in Uniformen sind klassischer Weise immer Befehlsempfänger.
Die Uniform degradiert den Angestellten nicht, da sie ihn spüren lässt, schon etwas Besonderes darzustellen. (Es gibt in der Peripherie des Hotels auch Zuarbeiter, die noch nicht einmal eine Uniform tragen dürfen.)
Die Uniform ist ein Zeichen der Zugehörigkeit zu einem ganz bestimmten Hotel. (Daher werden sie als Spezialanfertigung von jedem Hotel in einem anderen Design in Auftrag gegeben.)
Wer jedoch glaubt, nach Gesprächen mit den Menschen, die im Luxor arbeiten, würde etwas vom Glanz dieser Stadt abblättern, muss sich bis auf wenige Ausnahmen schnell enttäuscht sehen.
Auch bei den Angestellten, für die ja die ganze Show Alltag ist, kennt die Begeisterung kaum Grenzen.
Ich sehe dafür verschiedene Gründe:
Es ist eine ur- amerikanische Einstellung, in jeder Tätigkeit auch einen selbstverständlichen Dienst an der amerikanischen Idee zu sehen. Vielleicht kann man dies so interpretieren, dass hier noch immer das Herzblut der Siedler schlägt, die sich ihren Platz im Leben erobern mussten.
Ein Grund für das Scheitern im Beruf wird zu allererst bei sich selbst gesucht, oder sogar als gerechte Strafe empfunden.
Des Weiteren gibt es Phänomene, die international in fast allen Hotels zu beobachten sind:
Die Arbeit in einem Hotel geht so sehr in einer Scheinwelt auf, dass die Routine als Spiel empfunden wird, welches wiederum eine Faszination ausübt. Das Arbeiten im Hotel nenne ich immer ein „Leben in Vollpension“. Man versteht den Kollegen als Schicksalsgenossen, ganz besonders in aufreibenden Nachtschichten. So wird aus dem Leidensgenossen schnell ein Partner. Zudem ist gute Laune und Freundlichkeit Teil des Pflichtprogramms in jedem Hotel, und man sollte nicht glauben, dass hier die Grenzen zwischen der Arbeit „am Gast“ und der Kooperation mit Kollegen eindeutig gezogen wären. Wenn die Verkäuferin in einer Modeboutique sich in Folge ihres Berufes auch privat gerne schick macht, so könnte es ja in einem Hotel mit der Freundlichkeit ähnlich sein. Außerdem nimmt man die Speisen gemeinsam in der Kantine ein und trennt sich auch nicht generell bei Feierabend, sondern unternimmt gerne noch etwas zusammen. Dies ist keine besonders positive Darstellung, sondern in der Gastronomie „die Norm“. Für diese gemeinsamen Unternehmungen gibt es verschiedene Beweggründe. Zum einen geht es oft darum, das am Tag gemeinsam Erlebte zu rekapitulieren, über verschiedene Ereignisse des Hotels zu reden und sicher auch oft einfach nur zu feiern. Böswillige Zungen würden diesen Teil als das „Herunterspülen unverarbeiteter Probleme mit Alkohol“ bezeichnen. Zumindest wird in fast allen Hotels der Feierabend nicht als ein Einschnitt wie etwa in einer Fabrik empfunden, sondern er leitet dazu über, an anderer Stelle auch selbst einmal bedient zu werden. In Deutschland sind dies Kneipen in der Umgebung, in Las Vegas oft das „eigene“ Hotel.
Natürlich nimmt man die Speisen auch in den Betriebskantinen bei VW in Wolfsburg oder beim OTTO- Versand in Hamburg gemeinsam ein. Aber da verschickt man das hergestellte Produkt nach Irgendwo - und arbeitet nicht im Produkt.
Zudem wechselt das Personal in der Gastronomie sehr häufig und wird oft international durchmischt. Die gemeinsame Verpflegung, das gemeinsame Feiern und Problemlösen, wie auch die Vielzahl an Möglichkeiten, Freunde auf dem „Personalkarussell“ zu finden, sind es, was ich das „Leben in Vollpension“ nenne.
Des Weiteren ist bei Hotelangestellten immer ein gewisser Realitätsverlust festzustellen. Das eigene Hotel wird als Vision und Mission zugleich empfunden, was natürlich auch teilweise auf Schulungen „eingetrichtert“ wird. Aber davon abgesehen ist in Hotels die Bereitschaft sehr hoch, sich für wirtschaftliche Zusammenhänge verantwortlich zu fühlen, die man selbst eigentlich gar nicht beeinflussen kann. Oft gehörte Sätze sind dann: „Wir müssen da gemeinsam durch“, „uns (gemeint ist mit uns immer das gesamte Hotel) geht es im Moment nicht gut“ oder „das schaffen wir schon“.
Die Identifikation mit dem „eigenen“ Hotel ist überdurchschnittlich hoch. Das eigene Hotel sieht besser aus als die anderen, hat bessere Arbeitsbedingungen oder sympathischere Gäste.
Diese Identifikation kann so weit gehen, dass die Dürftigkeit der eigenen Wohnung durch den Glanz des Hotels kompensiert wird.
So spielen die Angestellten das Spiel des Konkurrenzkampfes mit, obwohl sie nicht mehr in der Hand haben, als ein Tablett, das sie weiterhin lächelnd servieren werden.
Erleichtert wird dieses Spiel dadurch, dass man sich im Dienstleistungssektor bewegt.
„Dienstleistungen sind Produkte spezieller Art, und ihre Anbieter müssen sie auch entsprechend behandeln. Dienstleistungen sind Verrichtungen und damit immateriell.“ (Harvard Business Manager, I. 1997, S. 58.)
Erwerber von Sachgütern kaufen Besitz und Nutzen; Käufer von Dienstleistungen kaufen allein Nutzen.
Dementsprechend werden auch die Anforderungen an einen Hotelfachmann formuliert:
Jede Bewegung vor einem Gast muss als nützlich wahrgenommen werden.
Höflichkeit und gute Umgangsformen sind Pflicht.
Dem Gast immer den größeren Gesprächsanteil zukommen lassen.
Es ist in mittlerer Stimmlage zu sprechen.
korrekte Haltung (aufrecht und nicht müde/ flott gehen, aber nicht laufen/ selbstbewusst, aber nicht hochnäsig/ freundlich lächelnd, aber nicht grinsend oder lachend/ zurückhaltend, aber nicht langweilig)
Bei der Ausführung von Arbeiten ist zu achten auf: Sauberkeit, Ausdauer und Zuverlässigkeit. (Dries, S.236, Prüfungsaufgaben für den Hotelfachmann, Gießen, 5. Aufl., 1994.)
Ein Schreiner sieht den Schrank vor sich, den er mit seinen Händen produziert hat, und kann sich ganz einfach Wert und Bedeutung seiner Leistung ausrechnen.
Ein Kellner kann den Wert seiner Arbeit fast nie erkennen und den Nutzen oft nur erahnen. Er serviert einen Teller mit Speisen und räumt ihn einige Minuten später leergegessen wieder ab. Der Tisch, den er mit Mühe eingedeckt hat, ist nach dem Essen unbrauchbar, das polierte Besteck wieder schmutzig.
So wird der Nutzen des Kellners ständig verbraucht. Motivation zur Arbeit kann nur entstehen, wenn das Hotel als Scheinwelt wahrgenommen wird, in der andere Gesetze als außerhalb zu gelten scheinen.
Ein Maurer muss eine Baustelle verlassen, sobald das Haus steht.
Aber er hat die Möglichkeit, jederzeit all die Häuser zu betrachten, die er erbaut hat, er kann sie seinen Freunden zeigen.
Die Veranstaltungen, die ein Kellner mitgestaltet, sind schon Minuten nach dem Ende der Veranstaltung nicht mehr zu sehen. Zur „Besichtigung“ vergangener Leistungen werden die Gespräche mit Kollegen genutzt. Hier werden Veranstaltungen aus früheren Tagen, zumeist mit prominenten Gästen verklärt hochstilisiert zu bewegenden Ereignissen, an denen man nicht nur teilgenommen hat, sondern, die man mitgestaltet hat und so zu einem Erfolg geführt hat.
Ein Lehrer kann über einen längeren Zeitraum seine Schüler beobachten und erkennen, ob Lernerfolge zu verzeichnen sind. Ein Gast steht nach dem Essen auf, zumeist ohne ein Wort des Danks, und verschwindet für immer.
Der Kellner muss sich also seine Bestätigung im Team, oder bei sich selbst suchen. Ob die Arbeit sinnvoll ist oder nicht, steht nicht zur Debatte. Es reicht, sie als sinnvoll zu empfinden.
Dabei hilft es, dass der Kellner im Gegensatz zum Schreiner, nie alleine arbeitet, sondern sich immer auf einer Bühne mit vielen „Zuschauern“ bewegt. Er kassiert zwar keinen Applaus, aber zumindest Akzeptanz und manchmal auch ein Trinkgeld des „Publikums“.
Zudem muss man die Hotellerie von der allgemeinen Gastronomie unterscheiden:
Zwar gleichen sich die Bereiche teilweise in der Ausbildung. Die Arbeit in einem guten Hotel hat jedoch einen viel höheren gesellschaftlichen Stellenwert als das Kellnerdasein in irgendeinem Restaurant.
Der Spruch „wer sonst nichts wird, wird Wirt“, gilt nicht für die Hotellerie. Viele reiche Eltern, deren Kinder aus „gutem Hause“ leider nicht zu einem Medizinstudium bereit waren, empfinden die Ausbildung ihres Kindes in einem Fünf- Sterne- Hotel als das kleinste Übel aller möglichen Lehrberufe.
Wenn man dies nun im spezifischen Fall des „Luxor“ betrachtet, so kommt hier hinzu, dass man in einem „Weltwunder“ arbeitet. Es handelt sich nicht um irgendein Hotel, welches mit anderen konkurriert, sondern um ein Hotel, bei dem es um die Weltspitze geht. So ist es für die Angestellten etwas ganz besonderes, „dabei zu sein“.
Das herausragende an Las Vegas ist jedoch, dass die beschriebene Bereitschaft, einen Job mit Begeisterung anzupacken, auch in den Arbeitsbereichen außerhalb des Luxors in jedem Hotel- und jedem anderen Arbeitsbereich zu finden ist. Abgesehen von den obengenannten Eigenheiten der Arbeit in einem Hotel, lässt sich am Beispiel des Luxors eine Grundregel des Arbeitsmarktes in Las Vegas aufzeigen:
Die hohe Bereitschaft, irgendeinen Job anzupacken, ohne auf die eigene Qualifikation Rücksicht zu nehmen.
Was die Auslöser einer solchen Einstellung sind, und ob sie auf die gesamten Vereinigten Staaten zu übertragen sind, wird noch im Verlauf dieser Arbeit untersucht.
Zumindest für die Kellner in den USA gilt, dass inzwischen teilweise, mit Verweis auf die Trinkgelder, der gesamte Grundlohn entfällt.
Hier determiniert die eigene Leistung die Bezahlung.