Interview mit Bertrand Piccard
Auf einem Flug nach Müchen entdeckte ich gerade ein interessantes Interview im Lufthansa- Magazin.
Im Coaching geht es immer und zuallererst um Veränderung.
Wer sich nicht verändern will, braucht eigentlich keinen Coach - oder eben gerade doch dazu, dies zu erkennen.
Über allem schwebt die große Frage "können sich Erwachsene ändern?".
Und so war auch immer eine Frage, ob man denn Mut trainieren kann. Und wer sagt, dass man Mut trainieren muss, scheint zu wissen, dass man es kann.
Ein spannendes Gespräch über Veränderung und Perspektivwechsel.
Das Interview gebe ich in Auszügen wieder, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion des Lufthansa-Magazins:
Bertrand Piccard wurde 1958 in eine Familie von Forschern und Entdeckern hineingeboren: Sein Großvater Auguste drang 1932 als erster Mensch mit einem Ballon bis in die Stratosphäre vor, sein Vater Jacques erreichte 1960 als erster Mensch mit einem U-Boot den Grund des Marianengrabens. Piccard begeisterte sich schon als Jugendlicher für Hängegleiter und Ultraleichtflugzeuge. Trotzdem studeirte er zunächst Medizin und wurde Psychiater und Psychotherapeut. 1999 umrundete er als erster Mensch die Erde im Ballon. (...)
Herr Piccard, Sie führen ein nicht gerade gefahrloses Leben. Wovor haben Sie sich zuletzt gefürchtet?
Ich bin bestimmt kein Draufgänger, stürze mich nie blind in Gefahr. Und natürlich bin ich auch nicht frei von Angst. Also, wann habe ich mich wohl zuletzt gefürchtet? (Verstummt, schweigt, überlegt lange.) Tut mir leid, da komme ich jetzt wirklich nicht drauf. Mit dieser Frage beschäftige ich mich in der Regel kaum.
Trotz aller Vorsicht riskieren Sie bei Ihren Projekten letztlich Gesundheit und Leben. Dabei sind Sie Ehemann und Vater, hätten also genug Gründe, zu Hause zu bleiben. Was ist Ihre Motivation?
Wenn ich nur zu Hause bliebe, käme mir mein Lebenssinn abhanden. Schon mein Vater und mein Großvater waren Forscher. In meinem Elternhaus sind regelmäßig Astronauten, Nobelpreisträger und Abenteurer aller Art zu Gast gewesen. Ich wuchs also unter äußerst wissbegierigen Leuten auf, die stets die Welt verstehen, neue Dinge entdecken und erfinden wollten. Ehrlich gesagt war ich enttäuscht, als mir später klar wurde, dass die meisten Menschen anders denken, dass sie sich durch Wandel, Widerspruch und andere Meinungen nicht inspiriert, sondern bedroht fühlen.
Sie waren der Erste, der die Erde mit einer Nonstop-Fahrt im Ballon umrundet hat, und gelten als einer der letzten großen Abenteurer. Was ist das eigentlich, ein Abenteuer?
Ein Abenteuer ist nichts anderes als eine Krise, der man sich stellt. Umgekehrt ist eine Krise nur ein Abenteuer, gegen das man sich wehrt. Das Abenteuer beginnt, sobald Sie ihre Komfortzone verlassen. Sie verabschieden sich von Sicherheiten, nutzen Ihre Fragen und Zweifel, um Kreativität zu stimulieren. Dafür benötigt man keine spektakulären Fluggeräte. Es genügt den Beruf oder Wohnort zu wechseln, eine neue Sprache zu studieren. Vor allem die kleinen, die alltäglichen Abenteuer sollten wir nicht übersehen.
Wer neue Wege beschreitet, benötigt Mut, darf nicht in Angst verharren. Wie wird man ein mutiger Mensch?
Mut muss man trainieren. Solange Sie mit dem gegenwärtigen Augenblick, mit ihrem Atem und Körper verbunden sind, können Sie Ihre Angst beherrschen, sich ihr stellen. In meiner Kindheit und Jugend habe ich eine Zeitlang unter Höhenangst gelitten. Aber als ich zum ersten Mal einen Hängegleiter sah, war mir sofort klar: "Das musst du machen, das wird deine Therapie!"
Ihr aktuelles Projekt ist die "Solar Impulse", ein Flugzeug, mit dem Sie im kommenden Jahr erneut die Erde umrunden wollen. (...) Welche fliegerischen Herausforderungen gibt es dabei?
Das Flugzeug ist extrem schwer zu steuern. Seine Flügelspannweite entspricht der eines großen Verkehrsflugzeugs, es wiegt aber kaum mehr als ein Auto; Turbulenzen machen sich also stark bemerkbar. Und um unsere Energie so effizient wie möglich zu nutzenm fliegen wir mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von nur 45 Stundenkilometern. Mein bisher längster Flug endete deshalb erst nach 22 Stunden. Bei der Erdumrundung rechnen wir sogar mit Flügen, die vier bis sechs Tage dauern. Denn Zwischenlandungen sind natürlich nur auf Land möglich, nicht auf dem Meer.
Das heißt, Sie wollen sechs Tage lang mutterseelenallein im Cockpit eines Flugzeugs sitzen?
Am Boden haben ich bereits einen 72-stündigen Testlauf absolviert. Pro Tag durfte ich dabei nur achtmal 20 Minuten lang schlafen - später, an Bord, übernimmt während dieser Phasen der Autopilot. Ich muss aber stets in der Lage sein, binnen weniger Sekunden hellwach zu werden. Während der Simulation wurde ich deshalb immer wieder getestet, auch am dritten Tag ließ meine Leistungsfähigkeit nicht nach. Als es vorbei war, konnte ich noch problemlos mit dem Auto heimfahren.
Wie bitte? Schon nach einer einzigen schlaflosen Nacht zeigt die Leistungskurve der meisten Menschen steil nach unten...
Das ist die Magie des Abenteuers. Zu Hause, in meiner gewohnten Umgebung, hätte mir der Schlafmangel schwer zu schaffen gemacht. Aber sobald ich meine Gewohnheiten aufgebe, erlaube ich mir, mich zu verändern. Wer sich gestattet, anders zu denken, sieht das Leben in einem neuen Licht.
Wie funktioniert so etwas ganz konkret?
Ich spreche gern mit Menschen, welche die Welt ganz anders sehen. Nicht weil ich sie von meiner eigenen Sicht überzeugen wollte. Im Gegenteil, ich halte den Mund, will ihnen nur zuhören, ihre Auffassung vom Leben verstehen. Das ist wie eine Dehnübung für meinen Geist. Eine andere Übung, die ich regelmäßig praktiziere, besteht darin, meine Überzeugungen auf den Prüfstand zu stellen: Was wäre, wenn das genaue Gegenteil meiner bisherigen Annahmen zuträfe?
Wie würde sich mein Bild der Welt verändern?
(...)
(Lufthansa Magazin 5/2014, S.50-54)